02.07.2019 15:00
Studie mit dem Grüntee-Polyphenol EGCG zeigt Wege zur Entwicklung einer kausalen Therapie für MSA
Eine heute in „Lancet Neurology“ publizierte industrieunabhängige Studie [1] zeigte, dass die in grünem Tee enthaltene Substanz „Epigallocatechingallat“ (EGCG), ein sogenannter Oligomer-Modulator, – auch aufgrund von schweren Nebenwirkungen bei höheren Dosierungen – bei Patienten mit Multisystematrophie (MSA) keine ausreichende klinische Wirkung zeigte. Da sich jedoch eine signifikante Reduktion der Atrophie beteiligter Hirnregionen im MRT zeigte, sieht Studienautor Prof. Günter Höglinger das Therapieprinzip bestätigt. Nun sollen Studien mit verträglicheren Oligomer-Modulatoren folgen. Die MSA kann als Modellerkrankung für Synucleinopathien angesehen werden, zu denen auch Parkinson zählt.
Ähnlich wie die Parkinson-Krankheit (PK) ist die Multisystematrophie (MSA) in der Hirngewebeuntersuchung durch Ablagerungen von Aggregaten aus dem Eiweiß Alpha-Synuclein gekennzeichnet. Daher nennt man diese Krankheiten auch Synucleinopathien. Umfangreiche Daten legen nahe, dass eine toxische Wirkung dieser Aggregate eine wesentliche Rolle in der Krankheitsentstehung spielt. Da insbesondere kleine Proteinaggregate, sogenannte Oligomere, toxische Wirkung auf Nervenzellen haben, ergibt sich aus diesen Beobachtungen ein interessanter Ansatz zur Verlaufsmodifikation. Eine verlaufsmodifizierende Therapie wird dringend benötigt, da die genannten Krankheiten durch fortschreitenden Nervenzellverlust unweigerlich zur Pflegebedürftigkeit führen.
Epidemiologische Beobachtungen deuten auf eine mögliche präventive Wirkung von Teekonsum bezüglich des Risikos, an MSA zu erkranken. Die in grünem Tee enthaltene Substanz „Epigallocatechingallat“ (EGCG) hemmt die Oligomerbildung von Alpha-Synuclein im Reagenzglas, was unter anderem an der Ludwig-Maximilians Universität München in einer Kollaboration zwischen der Neuropathologie und der Neurologie untersucht wurde. In diesem Arbeitsprogramm wurden weitere speziell als Medikament geeignete Oligomer-Modulatoren entwickelt, z.B. die Substanz anle138b, welche unter anderem eine exzellente Bioverfügbarkeit im Hirngewebe zeigt. Andere Wissenschaftler konnten zeigen, dass EGCG in verschiedenen Tiermodellen der PK wirksam ist. Da EGCG in Europa als Nahrungsergänzungsmittel zugelassen ist, war mit dieser Substanz die direkte Weiterentwicklung in Form einer translationalen industrieunabhängigen Untersucher-initiierten Studie zur Prüfung der Wirksamkeit im Menschen möglich. In Kollaboration der Neurologischen Kliniken der beiden Münchener Universitätsklinika (Ludwig-Maximilians-Universität – PD Dr. Levin und Technische Universität – Prof. Dr. Höglinger) wurde zu diesem Zweck das Protokoll der PROMESA („Progression Rate Of MSA under EGCG aS anti-aggregation Approach“)-Studie entwickelt. Damit ist diese Studie prototypisch für eine translationale „bench to bedside“-Studie.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Da die MSA eine sehr seltene Erkrankung ist, war die Studie nur mit einem Rekrutierungsnetzwerk aus 12 Zentren in ganz Deutschland durchführbar. Da diese industrieunabhängige Studie mit begrenzten finanziellen Ressourcen auskommen musste, war die Durchführung nur durch die hervorragende Zusammenarbeit mit der ausschließlich akademisch motivierten Studiengruppe atypische Parkinson-Syndrome der Deutschen Parkinson Gesellschaft (DPG e.V.) möglich. Im Einzelnen waren Kollegen aus den PROMESA-Zentren Beelitz-Heilstetten, Charité, Dresden, Düsseldorf, Kassel, Leipzig, Lübeck, Marburg, Tübingen und Ulm daran beteiligt, insgesamt 92 Patienten im Rahmen der Studie zu behandeln. PROMESA ist die bisher weltweit zweitgrößte durch Wissenschaftler initiierte Studie bei MSA, was das herausragende Engagement der beteiligten Kollegen, sowie der Patienten und ihrer Familien illustriert.
Die Analyse der Studiendaten hat unter anderem gezeigt, dass die Qualität der erhobenen Daten sehr gut ist und daher valide Schlussfolgerungen erlauben. Weiter kann dies als Indikator der gleichmäßig hohen Versorgungsqualität an den Zentren der Deutschen Parkinson Gesellschaft e.V. angesehen werden.
Basierend auf den bisherigen Analysen brachte die Studie folgende Ergebnisse:
– Eine signifikante Wirksamkeit von EGCG als verlaufsmodifizierendes Medikament bei MSA konnte die Studie nicht belegen. Daher kann auch die Einnahme der Wirksubstanz nicht pauschal empfohlen werden. Dies gilt insbesondere, da EGCG in den eingesetzten (hohen) Dosen bei manchen Patienten zu einer deutlichen Leberschädigung geführt hat. Dieses Ergebnis unterstreicht die vorher schon angenommene dosisabhängige giftige Wirkung von EGCG, in dem PROMESA-Datensatz bei Dosen oberhalb von 800 mg /Tag.
– Trotz des negativen klinischen Endpunktes zeigte sich in einer kleinen Teilmenge der Patienten, die systematisch mittels Bildgebung untersucht wurde, eine signifikante Reduktion der Atrophie beteiligten Hirnregionen im MRT. Dieser Biomarker sollte also in zukünftigen Studien berücksichtigt werden.
– MSA eignet sich gut, um möglicherweise verlaufsmodifizierende Medikamente auf ihre Wirksamkeit beim Menschen zu untersuchen. Daher kann die MSA als Modellerkrankung angesehen werden. Diese Studie hat wichtige Verlaufsdaten geliefert, um in Zukunft noch bessere Studien bei Patienten mit MSA durchführen zu können.
Wie Studienautor, Professor Dr. Günter Höglinger, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE) an der Technischen Universität München (TUM) zusammenfasst, erlauben die Daten der PROMESA-Studie trotz des formal negativen Studienergebnisses interessante Beobachtungen aus Subgruppen- und Biomarker-Analysen. „Diese Daten deuten darauf hin, dass der Wirkmechanismus von EGCG prinzipiell erfolgsversprechend ist, wenn Oligomer-Modulatoren eingesetzt werden, die ein günstigeres Verhältnis von Wirkung zu Nebenwirkung haben und höhere Wirkspiegel im Gehirn erreichen. Solche Substanzen gibt es bereits.“ PD Dr. Johannes Levin, Ludwig-Maximilians-Universität München, bekräftigt: „Wir hoffen, 2020/2021 eine entsprechende Studie mit anle138b bei MSA beginnen zu können.“
Literatur
[1] Johannes Levin, Sylvia Maaß, Madeleine Schuberth, Armin Giese, Wolfgang H Oertel, Werner Poewe, Claudia Trenkwalder, Gregor K Wenning, Ulrich Mansmann, Martin Südmeyer, Karla Eggert, Brit Mollenhauer, Axel Lipp, Matthias Löhle, Joseph Classen, Alexander Münchau, Jan Kassubek, Florin Gandor, Daniela Berg, Silvia Egert-Schwender, Cornelia Eberhardt, Friedemann Paul, Kai Bötzel, Birgit Ertl-Wagner, Hans-Jürgen Huppertz, Ingrid Ricard*, Günter U Höglinger*, for the PROMESA Study Group†. Safety and efficacy of epigallocatechin gallate in multiple system atrophy (PROMESA): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2019; 18. Jul 2
DOI: https://doi.org/10.1016/S1474-4422(19)30141-3
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