Verborgenes Ataxie-Gen identifiziert – Tübinger Genetiker führen in der Long Read Sequenziertechnologie



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30.04.2024 10:49

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Verborgenes Ataxie-Gen identifiziert – Tübinger Genetiker führen in der Long Read Sequenziertechnologie

Am Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik am Universitätsklinikum Tübingen ist es gelungen, ein jahrzehntelang verborgenes Gen zu identifizieren, das für eine Reihe von seltenen Erkrankungen des Gehirns und Rückenmarks ursächlich sein könnte. Bei diesen sogenannten Ataxien leiden das Gleichgewicht und die Bewegungskoordination.

Gemeinsam mit dem US-amerikanischen Neurologen Stefan Pulst (University of Utah, Salt Lake City), der das Gen mit seiner Arbeitsgruppe erstmals beschrieben hatte, und dem Lübecker Humangenetiker Malte Spielmann ist es nach 28 Jahren Kartierung im Genom gelungen, ein verlängertes GGC-Repeat Motif im ZFHX3 Gen als Ursache für die Erkrankung SCA4 zu identifizieren. Möglich war dies durch die Tübinger Expertise in der neuen Technologie der Long Read Sequenzierung. Jetzt wurde das Forschungsergebnis im Fachjournal Nature Genetics veröffentlicht.

Verborgene Regionen in Genomen finden
Erst im März dieses Jahr hat das Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik am Universitätsklinikum Tübingen vom Land Baden-Württemberg im Rahmen des BEGIN Programms 1,1 Millionen Euro eingeworben, um die Erstellung neuer Referenzgenome (Referenzdatenbanken) voranzutreiben. Ziel ist, das gesamte Genom einschließlich der schwer zu analysierenden Regionen, den sogenannten „Dark Regions of the Genome“, zu entschlüsseln. Dafür ist eine völlig neue Technologie erforderlich, die prinzipiell ganze Chromosomen in einem Stück sequenzieren kann. Die Arbeitsgruppe um Prof. Olaf Rieß und Prof. Stephan Ossowski wird hierfür das Erbgut von mindestens zehn Personen deutscher und zehn Personen afrikanischer Herkunft sequenzieren, um auch die große Variabilität der DNA-Sequenzen mit zu berücksichtigen.

Versteckte Krankheitsgene
In den „Dark Regions of the Genome“ werden weitere Gene vermutet, die ursächlich für genetisch bedingte Erkrankungen sind. Deshalb konzentriert sich das Team des Tübinger Universitätsklinikums auf die Anwendung der neuen Sequenzierungsmöglichkeiten in diesen Gebieten. Im vergangenen Jahr wurde am Tübinger Institut erstmals in Europa die Anwendung im klinischen Diagnostikprozess akkreditiert. Die diagnostische Anwendung der Long Read Technologie wird im größeren Maßstab in der nationalen „Clinical Long-Read Genome Initiative“ (lonGER) systematisch untersucht.

Biomarker für die Diagnostik genetischer Erkrankungen
Mit der neuen Technologie kann zudem die DNA-Modifikation (z.B. die Methylierung der DNA) analysiert werden. Dieses sogenannte Epigenom kann sehr variabel bspw. auf Medikamenteneinnahmen, Ernährung und Krankheiten reagieren, was die DNA-Methylierung zu einem Biomarker für die Diagnostik von genetischen Krankheiten und Krebs macht. Es sind zahlreiche Erkrankungen bekannt, die durch epigenetische Veränderungen verursacht werden können. Deshalb werden verstärkt Medikamente entwickelt, die lokale epigenetische Merkmale beeinflussen sollen. Referenzdaten des Epigenoms sind daher extrem wichtig, weshalb im Rahmen der Baden-Württemberg-Förderung 400 eineiige Zwillinge mittels Long-Read Technologie zur Ermittlung der Stabilität des Epigenoms sequenziert werden sollen.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. med. Olaf Rieß, Ärztlicher Direktor
Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik


Originalpublikation:

A GGC-repeat expansion in ZFHX3 encoding polyglycine causes spinocerebellar ataxia type 4 and impairs autophagy / doi 10.1038/s41588-024-01719-5


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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


 

Quelle: IDW