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30.03.2023 16:27
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Vorläuferzellen aus dem Knochenmark statt Transplantation
Mit weltweit etwa zwei Millionen Transplantationen pro Jahr sind Knochen nach Blut das am zweithäufigsten transplantierte Gewebe – leider oft mit nur mäßigem Therapieergebnis. Ein alternativer Ansatz könnten zellbasierte Therapien sein: Forscher*innen des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) konnten jetzt gemeinsam mit Kolleg*innen von der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) Salzburg zeigen, wie menschliche Vorläuferzellen große Knochendefekte heilen und neues Knochengewebe bilden können. Die Ergebnisse ihrer Studien haben die Forscher*innen in der Zeitschrift Science Translational Medicine* veröffentlicht.
Die meisten Knochenbrüche heilen vollständig und ohne Narbenbildung aus. Besonders große Knochendefekte, die durch schwere Verletzungen, eine Infektion oder eine Tumoroperation entstanden sind, heilen jedoch oft nicht auf natürliche Weise und machen eine Knochentransplantation erforderlich. Mit weltweit etwa zwei Millionen Transplantationen pro Jahr sind Knochen nach Blut das am zweithäufigsten transplantierte Gewebe. Die Verfügbarkeit von Transplantaten ist jedoch begrenzt und ihre Regenerationsfähigkeit häufig gering. Eine vielversprechende Alternative sind zellbasierte Therapien. Im Labor hergestelltes Gewebe aus Vorläuferzellen wie den sogenannten multipotenten Stromazellen (MSC) könnte die üblichen Knochentransplantate ersetzen. Dass das funktioniert, konnten jetzt Forscher*innen des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) gemeinsam mit Kolleg*innen von der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) Salzburg zeigen. Entscheidend dabei: Es ist nicht egal, aus welchem Gewebe – Fett, Haut oder Knochen – diese Stromazellen entnommen werden.
Die Quelle der Stromazellen ist entscheidend für ihre Regenerationsfähigkeit
Multipotente Stromazellen (MSC) sind die Vorläuferzellen in verschiedenen Bindegeweben, die in unterschiedliche Zelltypen wie Fett-, Knorpel- und Knochenzellen differenzieren können. Anders als bisher angenommen hat jedoch die Quelle der Zellen einen entscheidenden Einfluss darauf, wie groß ihre Fähigkeit zur Knochenregeneration ist. Im Gegensatz zu Zellen aus weißem Fettgewebe, der Nabelschnur oder der Haut besitzen nur MSCs aus dem Knochenmark die Fähigkeit, funktionsfähigen Knorpel zu bilden. Das liegt an einer so genannten epigenetischen Signatur, die festlegt, welche Gene während der Zelldifferenzierung zugänglich sind und in welcher Reihenfolge diese aktiviert werden.
„Der Knorpel, den wir in der Kulturschale herstellen können, entspricht einem wichtigen Zwischenprodukt für die Bildung von mineralisiertem Knochengewebe. Wir konnten bei Mäusen zeigen, dass die Transplantation der vitalen menschlichen Knorpelscheiben zu einer vollständigen Heilung von großen Knochendefekten führt“, sagt Dr. Sven Geissler vom BIH Center für Regenerative Therapien und einer der Senior-Autoren der Studie. „Im Tier bilden die transplantierten menschlichen Zellen in den Knorpelscheiben auch das initiale Knochengewebe, das am Ende der vollständigen Heilung durch körpereigene Zellen der Maus ersetzt wird.“
Neuer epigenetischer Mechanismus reguliert die Knochenheilung
In Ihrer Arbeit beschreiben die Forscher*innen einen neuen epigenetischen Mechanismus, der für das regenerative Potenzial der Stromazellen verantwortlich ist und die Knochenheilung reguliert. Hierbei handelt es sich um ein komplexes Netzwerk an sogenannten Enhancern – Verstärker der Genexpression – in der DNA der Zellen. Dieses Enhancer-Netzwerk ist in diesen Zellen in besonderer Weise zugänglich und aktiv und bestimmt damit den Verlauf und den Erfolg einer Gewebe-Regeneration. Die Forscher*innen nennen dieses Netzwerk „Enhancer-Landschaft“.
„Unsere Studie leistet einen wesentlichen Beitrag zur Auswahl von geeigneten Zellen für eine effektive Behandlung schwer heilender Knochenbrüche. Das hier erzielte Wissen um derartige gewebespezifische Enhancer-Signaturen kann auch dazu beitragen, andere zellbasierte Therapien zu verbessern“, sagt Prof. Dirk Strunk vom Institut für Experimentelle und Klinische Zelltherapie der Paracelsus Medical University (PMU) Salzburg und ebenfalls Senior-Autor der Studie.
Der Weg zur Klinischen Studie
Damit aus dem neuen Ansatz eine zuverlässige Therapieoption für große Knochendefekte in der Orthopädie und Unfallchirurgie wird, sind noch weitere Entwicklungsschritte notwendig. So wollen die Forscher*innen um Sven Geißler und Dirk Strunk nun prüfen, wie sich die Knorpelscheiben aus den Stromazellen automatisiert herstellen lassen und ob für die Therapie auch körperfremde Zellen von Spender*innen geeignet sind. Ansonsten müssten Patient*innen nach der Entnahme eigener Zellen bis zur Produktion und dem Implantat der Knorpelscheiben bis zu fünf Wochen warten. Die bisherigen Untersuchungen geben hier aber Anlass zur Zuversicht.
Kontakt
Dr. Stefanie Seltmann
Leiterin Stabsstelle Kommunikation
Berlin Institute of Health at Charité (BIH)
+49 (0) 30 450 543019
stefanie.seltmann@bih-charite.de
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Über das Berlin Institute of Health in der Charité (BIH)
Die Mission des Berlin Institute of Health (BIH) ist die medizinische Translation: Erkenntnisse aus der biomedizinischen Forschung werden in neue Ansätze zur personalisierten Vorhersage, Prävention, Diagnostik und Therapie übertragen, umgekehrt führen Beobachtungen im klinischen Alltag zu neuen Forschungsideen. Ziel ist es, einen relevanten medizinischen Nutzen für Patient*innen und Bürger*innen zu erreichen. Dazu etabliert das BIH als Translationsforschungsbereich in der Charité ein umfassendes translationales Ökosystem, setzt auf ein organübergreifendes Verständnis von Gesundheit und Krankheit und fördert einen translationalen Kulturwandel in der biomedizinischen Forschung. Das BIH wurde 2013 gegründet und wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und zu zehn Prozent vom Land Berlin gefördert. Die Gründungsinstitutionen Charité – Universitätsmedizin Berlin und Max Delbrück Center waren bis 2020 eigenständige Gliedkörperschaften im BIH. Seit 2021 ist das BIH als so genannte dritte Säule in die Charité integriert, das Max Delbrück Center ist Privilegierter Partner des BIH.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Sven Geissler
Originalpublikation:
Originalpublikation:
Sarah Hochmann, Kristy Ou, Rodolphe Poupardin, Michaela Mittermeir, Martin Textor, Salaheddine Ali, Martin Wolf, Agnes Ellinghaus, Dorit Jacobi, Juri A. J. Elmiger, Samantha Donsante, Mara Riminucci, Richard Schäfer, Uwe Kornak, Oliver Klein, Katharina Schallmoser, Katharina Schmidt-Bleek, Georg N. Duda, Julia K. Polansky, Sven Geissler and Dirk Strunk, The enhancer landscape predetermines the skeletal regeneration capacity of stromal cells. DOI: 10.1126/scitranslmed.abm7477
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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