22.01.2019 09:00
Weltgrößte genetische Studie zu Arthrose liefert neue Behandlungsansätze
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben 52 neue Veränderungen im Erbgut entdeckt, die mit Arthrose in Verbindung stehen. Dadurch verdoppelt sich die Anzahl der diesbezüglich bekannten Stellen. In der mit knapp 480.000 Teilnehmern bislang größten je durchgeführten genetischen Untersuchung zu Arthrose fanden die Forscher zudem Ansätze, um teilweise schon existierende Medikamente bei Arthrose einzusetzen zu können. Geleitet wurde die in ‚Nature Genetics‘ veröffentlichte Arbeit von Prof. Dr. Eleftheria Zeggini, seit kurzem Institutsdirektorin am Helmholtz Zentrum München. Im Video erklärt sie die Hintergründe der Arbeit: https://vimeo.com/312537973
Bei Arthrose handelt es sich um eine degenerative Erkrankung der Gelenke. Diese nehmen Schaden, verlieren an Beweglichkeit und beginnen zu schmerzen. Arthrose ist die am meisten verbreitete muskuloskelettale Krankheit der Welt und die Hauptursache für entsprechende Behinderungen. Bislang gibt es keine krankheitsspezifische Behandlung, sodass außer der Gabe von Schmerzmitteln lediglich der operative Einsatz künstlicher Gelenke zur Option steht.
Um den Krankheitsursachen auf den Grund zu gehen und neue Behandlungsmöglichkeiten zu finden, haben Forscher des britischen Wellcome Sanger Institute gemeinsam mit dem Unternehmen GSK das Erbgut von über 77.000 Arthrosepatienten analysiert und mit dem von mehr als 370.000 gesunden Menschen verglichen. Die Proben stammten aus der arcOGEN-Studie* sowie der UK-Biobank im Vereinigten Königreich. Die Wissenschaftler schlossen dabei viele verschiedene Arthrosetypen mit ein, darunter auch solche im Knie- und Hüftbereich.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Prof. Dr. Eleftheria Zeggini, Direktorin des neu gegründeten Instituts für Translationale Genomik am Helmholtz Zentrum München und zuvor am Wellcome Sanger Institute kommentiert: „Arthrose ist eine sehr häufige, unheilbare Krankheit. Wir haben die bisher größte Studie zur Arthrose durchgeführt und über 50 neue genetische Veränderungen gefunden, die das Erkrankungsrisiko erhöhen. Das ist ein großer Fortschritt für die Entwicklung von Therapien, die Millionen von Betroffenen helfen könnten.“
Um herauszufinden, welche Gene für die Erkrankung verantwortlich sind, hatte das Team zusätzlich zum Erbgut auch funktionelle Genomdaten aufgenommen sowie die Genaktivität und Proteinexpression analysiert. So konnten die Wissenschaftler nachvollziehen, welche Gene besonders oft abgelesen und zu Proteinen umgesetzt wurden. Das entsprechende Gewebe stammte von Arthrose-Patienten, die sich einer Gelenkersatzoperation unterzogen hatten.
Durch das Zusammenführen mehrerer verschiedener Datensätze konnten die Forscher die Gene identifizieren, die sehr wahrscheinlich ursächlich für die Arthrose sind. Zehn davon sind bereits Ziel von Medikamenten, die sich entweder in der klinischen Entwicklung befinden oder bereits gegen Arthrose und andere Krankheiten zugelassen sind.** Den Forschern zufolge wären diese Medikamente vielversprechende Kandidaten, um sie im Einsatz gegen Arthrose zu testen.
Dr. Stephen Simpson, Forschungsdirektor der Wohltätigkeitsorganisationen Versus Arthritis***, das die arcOGEN-Studie unterstützte, sagt: „In ganz Großbritannien sind über 8,5 Millionen Menschen von Arthrose betroffen. Wir wissen, dass sich die Erkrankung sehr verschieden auf die Menschen auswirkt: Eine Behandlung, die bei einer Person wirkt, muss bei einer anderen Person nicht unbedingt erfolgreich sein. Daher stellt diese Studie einen wichtigen Meilenstein dar, um die Komplexität von Arthrose zu verstehen und neue Behandlungsmöglichkeiten zu finden. Wir freuen uns, dass unsere Unterstützung für die arcOGEN-Studie dazu beigetragen hat. Langfristig sollte die Forschung dabei helfen, die Schmerzen, die Isolation und die Erschöpfung der Menschen mit Arthritis zu beenden.“
Weitere Informationen
* arcOGEN war eine Studie, an der ein von Arthritis Research UK finanziertes britisches Konsortium beteiligt war. Ziel war es, die genetischen Determinanten der Osteoarthritis (OA), der häufigsten Form der Arthritis, durch einen groß angelegten genomweiten Assoziationsscan zu identifizieren.
** Darunter unter anderem INVOSSA (ein Medikament, was bereits für Arthrose im Knie zugelassen ist) und LCL-161 (ein Wirkstoff gegen Brustkrebs, Leukämie und Myelome, was sich in der klinischen Testung befindet).
*** Versus Arthritis wurde im September 2018 durch die Fusion zweier der größten Arthritis-Wohltätigkeitsorganisationen Großbritanniens – Arthritis Research UK und Arthritis Care – ins Leben gerufen. Weitere Informationen finden Sie unter www.versusarthritis.org
Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Allergien und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören. www.helmholtz-muenchen.de
Das Wellcome Sanger Institute ist eines der weltweit führenden Genomzentren. Durch seine Fähigkeit, in großem Maßstab zu forschen, ist es in der Lage, mutige und langfristige Forschungsprojekte durchzuführen, die die medizinische Wissenschaft weltweit beeinflussen und stärken sollen. Die Forschungsergebnisse des Instituts, die durch eigene Forschungsprogramme oder durch seine führende Rolle in internationalen Konsortien erzielt wurden, werden zur Entwicklung neuer Diagnostika und Therapien für menschliche Krankheiten verwendet. Um sein 25-jähriges Bestehen im Jahr 2018 zu feiern, sequenzierte das Institut 25 neue Genome von Arten aus dem Vereinigten Königreich. www.sanger.ac.uk
GSK ist ein weltweit tätiges, forschendes Gesundheitsunternehmen mit der Mission Menschen dabei zu helfen, ein aktiveres, längeres und gesünderes Leben zu führen. Weitere Informationen finden Sie unter www.gsk.com
Ansprechpartner für die Medien:
Abteilung Kommunikation, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH), Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg – Tel. +49 89 3187 2238 – Fax: +49 89 3187 3324 – E-Mail: presse@helmholtz-muenchen.de
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Eleftheria Zeggini, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH), Institut für Translationale Genomik, Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg – Tel. +49 89 3187 49898 – E-Mail: eleftheria.zeggini@helmholtz-muenchen.de
Originalpublikation:
Tachmazidou, I. et al. (2018): Identification of new therapeutic targets for osteoarthritis through genome-wide analyses of UK Biobank. Nature Genetics, DOI: 10.1038/s41588-018-0327-1
Weitere Informationen:
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch