20.01.2020 09:28
Wie Durchfallerreger bei Körpertemperatur auf Angriff schalten
Viele bakterielle Krankheitserreger scheiden Giftstoffe aus, sobald sie sich im Wirt befinden, um dessen Immunantwort zu unterdrücken. Was genau auf molekularer Ebene passiert, wenn der Durchfallerreger Yersinia pseudotuberculosis auf Angriff schaltet, haben Forscherinnen und Forscher der Ruhr-Universität Bochum (RUB) untersucht. Sie nahmen dazu sogenannte RNA-Thermometer unter die Lupe, die den Bakterien signalisieren, ob sie sich im Wirt befinden. In Kooperation mit Kollegen des Helmholtz-Instituts für Infektionsforschung Braunschweig zeigten sie außerdem, dass Bakterien mit deaktiviertem RNA-Thermometer keine Infektion mehr auslösen können.
Über die Studie berichtet die Zeitschrift Plos Pathogens online am 17. Januar 2020.
Bei 37 Grad Celsius schmilzt das RNA-Thermometer auf
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
„Aus vorangegangenen Arbeiten wussten wir, dass Yersinia-Bakterien sehr sensibel auf Temperaturänderungen reagieren und die Anwesenheit in ihrem Wirt anhand der Körpertemperatur erkennen“, sagt Prof. Dr. Franz Narberhaus vom RUB-Lehrstuhl für Biologie der Mikroorganismen. Verantwortlich für die Temperaturmessung sind die RNA-Thermometer. Dabei handelt es sich um Abschnitte in der Boten-RNA vieler Gene, die den Bauplan für die krankmachenden Substanzen enthalten.
Bei niedrigen Temperaturen, also außerhalb des Wirts, verhindern die RNA-Thermometer, dass die RNA abgelesen und in Proteine übersetzt wird. Erst nach erfolgreicher Infektion des warmblütigen Wirtes, also bei einer Temperatur von etwa 37 Grad Celsius, schmelzen die RNA-Strukturen auf. Dann können sie in Proteine umgeschrieben werden, die eine für den Wirt schädliche Wirkung entfalten. In der aktuellen Publikation beschreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den zugrunde liegenden Schmelzmechanismus des RNA-Thermometers für einen der Giftstoffe von Yersinia pseudotuberculosis, das CnfY-Toxin.
Bakterien mit nicht funktionellen Thermometern machen nicht krank
Der Bochumer Doktorand Christian Twittenhoff zeigte anhand von isolierten Zellbestandteilen des Durchfallerregers, an welchen Stellen das RNA-Thermometer für das CnfY-Toxin aufschmilzt und welche Struktur es dabei annimmt. Der Biologe erstellte ein Modell, das dokumentiert, wie sich das Thermometer öffnet. Es zeigt auch, wie das Ribosom – der Zellbestandteil, an dem die Boten-RNA in ein Protein übersetzt wird – an die Boten-RNA andockt.
In Zusammenarbeit mit der Gruppe von Prof. Dr. Petra Dersch, früher am Helmholtz-Institut in Braunschweig, jetzt an der Universität Münster, demonstrierten die Forscher außerdem, welche Rolle das RNA-Thermometer für den Krankheitsprozess spielt. Sie infizierten Mäuse mit Yersinia-Bakterien, die entweder funktionierende RNA-Thermometer besaßen oder inaktivierte RNA-Thermometer, die nicht bei 37 Grad Celsius aufschmelzen konnten. Die Bakterienstämme mit modifizierten RNA-Thermometern waren nicht in der Lage, Mäuse krank zu machen. „Die Ergebnisse haben gezeigt, wie wichtig ganz kurze regulatorische RNA-Sequenzen für den erfolgreichen Infektionsverlauf eines Bakteriums sein können“, resümiert Christian Twittenhoff, der Erstautor dieser Studie.
Ähnliche Mechanismen in anderen Bakterien vermutet
Christian Twittenhoff verglich das Gen des CnfY-Toxins mit Toxin-Genen anderer Krankheitserreger mithilfe von bioinformatischen Methoden. Die Analyse legt nahe, dass auch andere Toxin-Gene durch RNA-Thermometer reguliert sein könnten. „Obwohl die Sequenzen sehr unterschiedlich sind, können wir vorhersagen, welche RNA-Strukturen vermutlich als Thermometer fungieren“, erklärt er.
„RNA-Thermometer funktionieren über einen sehr einfachen Mechanismus, der sich wahrscheinlich im Laufe der Evolution bewährt und deshalb vielfach und unabhängig voneinander entwickelt hat“, vermutet Franz Narberhaus. Grundsätzlich könne man einer bakteriellen Infektion vorbeugen, indem man das Aufschmelzen solcher RNA-Strukturen verhindere. „Substanzen, die RNA-Thermometer im geschlossenen Zustand einfrieren, sind aber bisher nicht bekannt“, so Narberhaus weiter.
Über den untersuchten Erreger
Der Durchfallerreger Yersinia pseudotuberculosis ist nahe verwandt mit dem Pesterreger Yersinia pestis. Das Bakterium wird über verunreinigte Lebensmittel übertragen. Sobald es im Darm des warmblütigen Wirts angekommen ist, sekretiert es das sogenannte CnfY-Toxin, welches akute Entzündungsreaktionen auslöst und die Wirkung anderer krankmachender Substanzen verstärkt.
Förderung
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderte das Projekt mit dem Förderkennzeichen NA 240/10-2.
Originalveröffentlichung
Christian Twittenhoff, Ann Kathrin Heroven, Sabrina Mühlen, Petra Dersch, Franz Narberhaus: An RNA thermometer dictates production of a secreted bacterial toxin, in: PLoS Pathogens, 2019, DOI: 10.1371/journal.ppat.1008184
Pressekontakt
Prof. Dr. Franz Narberhaus
Lehrstuhl Biologie der Mikroorganismen
Fakultät für Biologie und Biotechnologie
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 23100
E-Mail: franz.narberhaus@rub.de
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Franz Narberhaus
Lehrstuhl Biologie der Mikroorganismen
Fakultät für Biologie und Biotechnologie
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 23100
E-Mail: franz.narberhaus@rub.de
Originalpublikation:
Christian Twittenhoff, Ann Kathrin Heroven, Sabrina Mühlen, Petra Dersch, Franz Narberhaus: An RNA thermometer dictates production of a secreted bacterial toxin, in: PLoS Pathogens, 2019, DOI: 10.1371/journal.ppat.1008184
Weitere Informationen:
https://journals.plos.org/plospathogens/article?id=10.1371/journal.ppat.1008184 – Orinigalveröffentlichung
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch