12.02.2020 11:42
Algorithmen helfen, «Krebs-Gene» zu identifizieren
Gemäss Schätzungen wird sich die Zahl der Krebserkrankungen bis 2040 weltweit verdoppeln. Umso bedeutender wird die Suche nach Genen, die Krebs verursachen. Ein Team von Berner Forschenden hat nun Algorithmen entwickelt, welche die Jagd nach «Krebs-Genen» im bisher wenig erforschten Teil unseres Erbguts massiv vereinfachen.
Krebs wird durch Mutationen im Erbgut der Zellen verursacht: Dadurch wachsen die Zellen unkontrolliert, passen sich an neue Bedingungen an und können den Abwehrmechanismen des Körpers entgehen. Aus diesem Grund widmen sich Krebsforschende zunehmend der Genetik von Tumoren. Der Blick auf das genetische Profil bösartiger Wucherungen hilft dabei nicht nur zu verstehen, wie der Krebs entsteht und was seine Ausbreitung antreibt. Er kann auch Hinweise auf therapeutische Angriffspunkte liefern. Die Jagd nach mutierten Genen, die Krebs verursachen – sogenannte Treiber-Gene – wird durch neueste Technologien bei der DNA-Sequenzierung ermöglicht.
Die Treiber-Gene in Tumoren werden dank ausgeklügelten Algorithmen identifiziert. Dabei muss eine solch empfindliche Methode sorgfältig kalibriert werden. «Denken Sie an die Waage bei Ihnen zu Hause, die von Zeit zu Zeit angepasst werden muss, um das richtige Gewicht anzuzeigen. In ähnlicher Weise müssen auch die Methoden zur Suche nach Treiber-Genen anhand von ‹Benchmarks›, das heisst Daten bereits bekannter Krebsgene, kalibriert werden», sagt Rory Johnson. Er forscht am Department for BioMedical Research der Universität Bern (DBMR) und am Inselspital, Universitätsspital Bern, und ist Mitglied des Nationalen Forschungsschwerpunkts RNA&Disease. Seine Gruppe hat nun einen Gendatensatz erstellt, der Krebsforschenden die Suche nach neuen Tumortreiber-Genen deutlich erleichtert. Die Studie wurde im Nature-Journal «Communications Biology» veröffentlicht.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Krebs-Gene in der «dunklen Materie» unseres Erbguts
Der Begriff «dunkle Materie» unseres Genoms bezieht sich auf die über 95% davon, die nicht-kodierend sind, also keine Bauanleitungen für Proteine enthalten. Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass ein Teil dieser «dunklen Materie», sogenannte lange, nicht kodierende RNA-Gene oder «lncRNAs», massgeblich beteiligt sind an der Tumorentstehung und dem Fortschreiten von Krebs. Im Gegensatz zur DNA (Desoxyribonukleinsäure), die das Erbgut speichert und den vollständigen Bauplan für die Konstruktion und auch Funktion eines Organismus hat, ist die RNA (Ribonukleinsäure) für verschiedene Aufgaben zuständig, unter anderem für die Regulation von Genen. Bisher wurde jedoch erst ein winziger Bruchteil der lncRNAs auf ihre biologische Rolle und ihre molekularen Mechanismen untersucht. «Die ‹Krebs-lncRNAs› stellen einen aufregenden neuen Schwerpunkt für die Entwicklung von Krebstherapien dar», erklärt Andrés Lanzos, Erstautor der Studie am DBMR und Inselspital, Universitätsspital Bern, und NCCR RNA&Disease.
Bisher konzentrierten sich Krebsforschende auf die etwa 19.000 «klassischen» proteincodierenden Gene im menschlichen Genom. Für diese Gene gibt es seit langem einen «Benchmark», der aus Genen besteht, von denen bekannt ist, dass sie bei der Tumorentstehung und Krebsentstehung eine Rolle spielen. Das Team unter der Leitung von Johnson konzentriert sich hingegen auf die Suche nach Krebs-lncRNAs mit Hilfe von sogenannten Tumormutationskarten des Internationalen Krebsgenomkonsortiums. Dabei haben die Forschenden statistische Methoden zur Identifizierung von Krebs-lncRNAs entwickelt. Die Zuverlässigkeit dieser neuen Methoden wollten sie mit Hilfe eines Benchmarks kalibrieren, wie dies bei den klassischen proteincodierenden Genen der Fall ist. Zu diesem Zweck stellte das Team als Benchmark einen Datensatz von 122 nicht kodierender RNAs zusammen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Krebs verursachen.
Hochwertige Vorhersagen möglich
«Dieser Datensatz von 122 Krebs-lncRNAs hat sich für uns bereits in vielerlei Hinsicht als eine unschätzbare Ressource erwiesen», sagt Johnson. Das Team verwendete ihn, um seine Algorithmen für die Entdeckung von Krebs-lncRNAs zu kalibrieren – wobei sich bereits zeigte, dass diese Algorithmen qualitativ hochwertige Vorhersagen machen, darunter Dutzende von völlig neuen Krebs-lncRNAs. So kam der vom Team entwickelte Algorithmus «ExInAtor» bereits erfolgreich in der Arbeit des Internationalen Krebsgenom-Konsortiums zum Einsatz, das seine Ergebnisse gerade in einer Reihe von Arbeiten im Journal Nature und anderswo veröffentlicht hat. An diesem Gross-Projekt war auch Mark Rubin, Direktor des Department for BioMedical Research (DBMR) der Universität Bern und Inselspital, Universitätsspital Bern beteiligt. «Wir sind überzeugt, dass unser Gendatensatz eine einzigartige Ressource darstellt, um die Eigenschaften dieser noch sehr wenig erforschten Klasse von lncRNA-Genen besser zu verstehen», erklärt Johnson. «Dies soll einerseits Forschenden dabei helfen, ihre Suche nach Krebs-lncRNAs zu verfeinern, so dass wir die Liste der Krebs-lncRNAS erweitern können, und andererseits hoffen wir, dass dadurch eine neue Generation von personalisierten Therapien für Krebspatientinnen und -patienten ermöglicht wird», ergänzt er.
RNA & Disease – Die Rolle von RNA in Krankheitsmechanismen
Der Nationale Forschungsschwerpunkt «RNA & Disease – Die Rolle von RNA in Krankheitsmechanismen» widmet sich der Untersuchung einer lange vernachlässigten Klasse von Molekülen. Die RNA (Ribonukleinsäure) ist der zentrale Drehpunkt vieler Lebensvorgänge und weit vielfältiger als ursprünglich angenommen. Sie definiert beispielsweise, wann und in welchen Zellen welche Gene aktiv oder inaktiv sind. Läuft bei dieser genetischen Regulation nicht alles rund, entstehen Krankheiten – etwa Herzerkrankungen, Krebs, Hirn- und Stoffwechselkrankheiten. Der NFS vereint Schweizer Forschungsgruppen, die sich mit verschiedenen Aspekten der RNA-Biologie befassen. Indem der NFS aufdeckt, welche regulatorischen Mechanismen während einer Erkrankung aus dem Ruder laufen, zeigt er auch neue therapeutische Angriffsziele auf. Die Universität Bern ist Leading house des NFS, die ETH Zürich ist co-leading. Nationale Forschungsschwerpunkte sind ein Forschungsinstrument des Schweizerischen Nationalfonds SNF.
https://nccr-rna-and-disease.ch/
Originalpublikation:
Joana Carlevaro-Fita, Andrés Lanzós, Lars Feuerbach, Chen Hong, David Mas-Ponte, Jakob Skou Pedersen, PCAWG Drivers and Functional Interpretation Group, Rory Johnson & PCAWG Consortium: Cancer LncRNA Census reveals evidence for deep functional conservation of long noncoding RNAs in tumorigenesis. Communications Biology, 5 February 2020, https://doi.org/10.1038/s42003-019-0741-7
Weitere Informationen:
https://tinyurl.com/Krebs-Gene
Anhang
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch