13.03.2019 12:24
Im Tumor: Mit Purpurbakterien auf Fresszellenjagd
Krebserkrankungen stellen Ärztinnen und Ärzte immer vor Herausforderungen, vor allem in Diagnose und Therapie der Krankheit. Dies liegt unter anderem an der Heterogenität von Tumoren. Jetzt zeigt ein Wissenschaftsteam des Helmholtz Zentrums München, des Forschungszentrums Jülich, der Technischen Universität München sowie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, dass sich harmlose Purpurbakterien (Rhodobacter) dazu eignen, diese unterschiedlichen Regionen innerhalb der Tumore zu charakterisieren.
Die Forschenden nutzen diese Mikroorganismen um sogenannte Fresszellen, die bei der Tumorentwicklung eine Rolle spielen, mit optoakustischen Methoden sichtbar zu machen, wie sie in Nature Communications berichten.
Zahlreiche Krebserkrankungen führen zu soliden, also festen Tumoren. In ihrem Inneren weisen diese Tumore große Unterschiede auf zellulärer und molekularbiologischer Ebene auf. Eine Komponente dafür ist die Lokalisation und Aktivität von sogenannten Fresszellen (Makrophagen)*. Obgleich diese Zellen essentiell für ein gesundes Immunsystems sind, spielen sie auch eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Tumoren. Mithilfe photosynthetischer Bakterien konnten nun neue optoakustische Methoden entwickelt werden, die aufzeigen, wo solche Fresszellen anwesend und aktiv sind.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
„Wir konnten zeigen, dass sich die für den Menschen harmlosen Bakterien der Gattung Rhodobacter** indirekt als Marker für die Präsenz und Aktivität von Makrophagen eignen“, sagt Dr. Andre C. Stiel, Leiter der Arbeitsgruppe ‚Cell Engineering‘ vom Institut für Biologische und Medizinische Bildgebung (IBMI) des Helmholtz Zentrums München. Rhodobacter erzeugen in großen Mengen das Pigment Bacteriochlorophyll a für ihre Photosynthese. Dieser Farbstoff ermöglichte den Forschenden, Bakterien im Tumor mit der multispektralen optoakustischen Tomographie (MSOT)*** aufzuspüren.
Wie funktioniert das Prinzip? Makrophagen nehmen im Zuge ihrer natürlichen Fressaktivität – der sogenannten Phagozytose – die Bakterien auf. Dadurch ändert sich die Umgebung der Bakterien, deren Absorption von elektromagnetischer Strahlung und damit auch das optoakustische Signal. Rhodobacter fungieren als Sensoren: Sie geben Hinweise auf die Anwesenheit und Aktivität von Fresszellen.
„In weiteren Schritten können solche Bakterien Ansätze für nicht-invasive Technologien und somit völlig neue Wege für innovative Diagnose- und Therapieverfahren eröffnen“, ergänzt Dr. Thomas Drepper, Leiter der Arbeitsgruppe ‚Bacterial Photobiotechnology‘ der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. So könnten in der Zukunft Bakterien sowohl die Lage von Tumoren anzeigen, als auch eine erhöhte Aktivität von Makrophagen aufdecken, die je nach Situation Hinweise auf unerwünschte Entzündungen oder auf das erwünschte Ansprechen immunologischer Therapien geben, und schlussendlich dafür genutzt werden, den Effekt von Therapien im Detail zu erforschen.
Weitere Informationen
*Wie man heute weiß, zeigen Tumore spezifische Mikroumgebungen. Zu dem Tumormikromilieu gehören u.a. Tumor-assoziierte Makrophagen. Diese Fresszellen sind Teil unseres Immunsystems. Bei der Krebserkrankung selbst sind sie an unerwünschten chronischen Entzündungen des Tumorgewebes beteiligt. Ein Prozess, der zum weiteren Fortschreiten der Erkrankung führt.
**Rhodobacter kommt weltweit in stehenden und fließenden Gewässern vor. Sie produzieren verschiedene Farbstoffe, um Photosynthese zu betreiben. Dazu gehört das im Experiment eingesetzte Bacteriochlorophyll a: ein Farbstoff, der sich für Untersuchungen per MSOT eignet, um solide Tumore zu lokalisieren. Beim Menschen führen Rhodobacter-Zellen nicht zu Infektionen.
***Bei einer MSOT-Aufnahme wandelt sich Licht zuerst in Schall und dann in visuelle Informationen um. Zunächst wird ein schwacher, pulsierender Laserstrahl auf das Körpergewebe gerichtet. Moleküle und Zellen, auf die der Strahl trifft, erwärmen sich geringfügig und reagieren mit minimalen Vibrationen, die wiederum Schallsignale erzeugen. Diese werden von Sensoren aufgenommen und in Bilder umgewandelt. Die Art und Weise, in der die einzelnen Zellen und Moleküle auf den Laser reagieren, hängt von ihren optischen Eigenschaften ab, etwa hier von den Eigenschaften bakterieller Farbstoffe.
Original Publikation:
Lena Peters et al. (2019): Phototrophic purple bacteria as optoacoustic in vivo reporters of macrophage activity. Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-019-09081-5 https://www.nature.com/articles/s41467-019-09081-5
Verwandte Artikel:
microRNAs sagen Rückfallrisiko von Kopf-Hals-Tumoren vorher
Speiseröhrenkrebs einfacher erkennen https://www.helmholtz-muenchen.de/aktuelles/uebersicht/pressemitteilungnews/arti…
Tiefer in lebendes Gewebe blicken https://www.helmholtz-muenchen.de/aktuelles/uebersicht/pressemitteilungnews/arti…
Neues Verfahren zum Nachweis eines Tumormarkers in bösartigen Lymphomen https://www.helmholtz-muenchen.de/aktuelles/uebersicht/pressemitteilungnews/arti…
Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören. http://www.helmholtz-muenchen.de
Das Institut für Biologische und Medizinische Bildgebung (IBMI) erforscht In-vivo-Bildgebungstechnologien für die Biowissenschaften. Es entwickelt Systeme, Theorien und Methoden zur Bildgebung und Bildrekonstruktion sowie Tiermodelle zur Überprüfung neuer Technologien auf der biologischen, vorklinischen und klinischen Ebene. Ziel ist es, innovative Werkzeuge für das biomedizinische Labor, zur Diagnose und dem Therapiemonitoring von humanen Erkrankungen bereit zu stellen. http://www.helmholtz-muenchen.de/ibmi
Die Technische Universität München (TUM) ist mit rund 550 Professorinnen und Professoren, 41.000 Studierenden sowie 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine der forschungsstärksten Technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, verknüpft mit den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft. Weltweit ist sie mit dem Campus TUM Asia in Singapur sowie Verbindungsbüros in Brüssel, Kairo, Mumbai, Peking, San Francisco und São Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel, Carl von Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006 und 2012 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands. http://www.tum.de
Das Forschungszentrum Jülich leistet wirksame Beiträge zur Lösung großer gesellschaftlicher Herausforderungen in den Bereichen Information, Energie und Bioökonomie. Es konzentriert sich auf die Zukunft der Informationstechnologien und ¬ verarbeitung, komplexe Vorgänge im menschlichen Gehirn, den Wandel des Energiesystems und eine nachhaltige Bioökonomie. Das Forschungszentrum entwickelt die Simulations- und Datenwissenschaften als Schlüsselmethode der Forschung weiter und nutzt große, oft einzigartige wissenschaftliche Infrastrukturen. Dabei arbeitet es themen- und disziplinenübergreifend und nutzt Synergien zwischen den Forschungsgebieten.http://www.fz-juelich.de/portal/DE/Home/home_node.html
Die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) ist seit 1965 die Universität der Nordrhein-Westfälischen Landeshauptstadt. Die HHU begreift sich als Bürgeruniversität, die ihr Wissen kontinuierlich mit der Gesellschaft im Großraum Düsseldorf teilt. Ihre Verankerung in Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft ist ebenso profilgebend wie ihre Ausrichtung als interdisziplinär agierende deutsche Volluniversität. An ihrer Medizinischen, Mathematisch-Naturwissenschaftlichen, Philosophischen, Wirtschaftswissenschaftlichen und Juristischen Fakultät studieren rund 35.000 Studierende. Im Fokus der Forschung stehen traditionell die Lebenswissenschaften, ergänzt unter anderem durch Schwerpunkte wie Wettbewerbsforschung, Internet und Demokratie, Algebra und Geometrie sowie Sprache – Wissen – Kognition. 2018 wurde der seit 2012 bestehende HHU-Exzellenzcluster CEPLAS, der die künftige Welternährung durch Nutzpflanzen erforscht, im Rahmen der „Exzellenzstrategie“ von Bund und Ländern bestätigt. Mehr zur HHU im Internet unter http://www.hhu.de
Ansprechpartner für die Medien:
Abteilung Kommunikation, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH), Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg – Tel. +49 89 3187 2238 – E-Mail: presse@helmholtz-muenchen.de
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Andre C. Stiel, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, Institut für Biologische und Medizinische Bildgebung (IBMI), Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg – Tel. +49 89 3187 3972 – E-Mail: andre.stiel@helmholtz-muenchen.de
Originalpublikation:
Lena Peters et al. (2019): Phototrophic purple bacteria as optoacoustic in vivo reporters of macrophage activity. Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-019-09081-5 https://www.nature.com/articles/s41467-019-09081-5
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch