Wie Quanten den Alltag infiltrieren

»Alles nur graue Theorie!« So lautet eine häufig geäußerte Meinung über die Quantenphysik. Ergänzend wird hinzugefügt: »Mit dem Alltag hat das nichts zu tun!« Die Meinung ist populär, zeugt aber von Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse. Die Wissenschaftler sind nicht ganz unschuldig an dem Unwissen, weil sie es versäumt haben, die Allgemeinheit auf verständliche Weise über die Quantenphysik aufzuklären und auf deren enorme wirtschaftliche Bedeutung hinzuweisen. Mehr als ein Drittel der Weltwirtschaft hängt von Produkten ab, die mithilfe der Quantenphysik entwickelt wurden.

Der mathematische Werkzeugkasten der Quantenphysik

Die Quantenmechanik ist der mathematische Werkzeugkasten der Quantenphysik um die Natur für Physiker und Ingenieure berechenbar zu machen. Einer der die Quantenmechanik anwendet und demnächst Science-Fiction in den Alltag einführt, ist der US-Physiker Jordin Kare. Kare hat eine Laserstrahlenwaffe entwickelt, mit der er der Anopheles-Mücke den Garaus machen will. Die von Malaria geplagten Dorfbevölkerungen in weiten Teilen Afrikas werden es ihm danken. Denn mithilfe der Laserwaffe, die für ein paar Dollar hergestellt werden kann, können die Überträger der Malaria zu Milliarden pro Nacht abgeschossen werden.

Quanten im Alltag

William Anderson ist Quantenphysiker genauso wie Kare und sein Spezialgebiet sind Laserstrahlen. Aber Anderson ist sich auch bewusst, wie die Quantenphysik den Alltag von jedem Menschen infiltriert hat. Schon morgens, wenn ihn der Radiowecker mit leiser Musik weckt, weiß er, dass seine Kollegen die Entwicklungsingenieure den mathematischen Formalismus der Quantenmechanik benutzt haben, um die im Radio eingebaute Halbleiterelektronik zu berechnen.

Wenn Anderson später an seinem Arbeitsplatz den PC einschaltet, denkt er an die Quantenphysiker, welche die Computerchips entwickelt haben. In der Mittagspause geht er in den Supermarkt, um für die abendliche Geburtstagsfeier daheim noch ein paar Delikatessen einzukaufen. Nachdem er sieht, wie die Verkäuferin an der Kasse mit einem Laserstrahl die Warenetiketten scannt, lächelt er die gute Frau an, die nicht weiß, dass sie ein Gerät in der Hand hält, das nur mithilfe der Quantenphysik entwickelt werden konnte.

Abends bei der privaten Geburtstagsfeier daheim werden Familienfotos mit einer Digitalkamera geschossen. Anderson lächelt zum wiederholten Male, damit freundlich aussehende Lichtquanten auf den Fotosensor der Kamera fallen. Ihm ist bewusst, dass die Quantenphysik mit dem Fotosensor und der Digitalkamera nicht den Geburtstag, sondern einen weiteren Triumph bei der Infiltrierung der Alltagswelt feiert.

Nachdem alle Gäste gegangen sind, zieht sich Anderson noch kurz vorm Schlafengehen eine Dokumentation im Fernsehen über die Fotovoltaik rein. Er sieht, dass es um Solarzellen geht, deren Funktionsweise allein durch die Quantenmechanik zutreffend beschrieben werden kann. Ohne Quantenmechanik wäre die Stromversorgung im Weltraum genauso wenig denkbar, wie die Stromerzeugung in der zukünftigen Welt, die lernen muss, ohne fossile Brennstoffe auszukommen.

Das Geheimnis der Quantenmechanik

Doch was ist das Geheimnis der Quantenmechanik, die bereits den heutigen Alltag durchdrungen hat und offensichtlich auch wichtig für die Zukunft der Menschheit ist? Wenn man Kerr darum bitten würde, möglichst einfach und leicht verständlich die Quantenmechanik zu erklären, dann würde er sicher Folgendes antworten: Quantenmechanik ist der mathematische Teil der Theorie des Lichts und der Materie. Ohne sie könnte heute weder die Physik noch die technische Welt auskommen.

Die Quantenmechanik fußt auf drei wichtigen Entdeckungen, welche die Physiker in den letzten hundert Jahren gemacht haben. Die erste Entdeckung ist die, dass Licht auch in Form von Teilchen existiert oder in anderen Worten: aus winzigsten Energiepaketen, nämlich den Quanten besteht. Die Lichtteilchen werden auch Photonen genannt. Jeder, der schon mal mit der Digitalkamera ein Foto unter schlechten Lichtverhältnissen geschossen hat, kann die Existenz von Quanten nachvollziehen. Schlecht belichtete Bilder sehen körnig oder verrauscht aus. Die Körnchen sind eine direkte Folge von zu wenig Lichtteilchen bzw. Quanten.

Bevor die Physiker Lichtteilchen entdeckten, nahmen sie an, dass sich Licht wie eine Welle ausbreitet. Anders wäre es auch heute nicht zu erklären, wenn eine Polaroid-Sonnenbrille die Lichtreflexe am Meer oder der sich im Sonnenlicht spiegelnden Flächen reduziert. Denn das Material der Polaroidbrillen enthält feine Gitterlinien, durch deren Zwischenräume alle Wellenberge die quer zum Gitter verlaufen, zurückgehalten werden. Teilchen könnten die Zwischenräume dagegen ungehindert durchqueren.

Zwei gegensätzliche Dinge ergänzen sich

Dummerweise sind Teilchen und Wellen zwei gegensätzliche Dinge, die sich nicht vereinbaren lassen. Licht hat sowohl Teilchencharakter als auch Wellencharakter, wie vorher gezeigt wurde. Um den Widerspruch nicht als solchen erscheinen zu lassen, sagen die Physiker, die beiden Eigenschaften Wellencharakter und Teilchencharakter seien komplementär zueinander, d. h., die Eigenschaften würden sich ergänzen und die Physiker sprechen vom Welle-Teilchen-Dualismus.

Wenn es schon verrückt klingt, dass Licht außer der Welleneigenschaft auch Teilcheneigenschaft besitzt, so ist es noch verrückter, wenn Materie auch Welleneigenschaft besitzen soll. Doch es ist so. Der Physiker de Broglie entdeckte 1924 die Welleneigenschaft von Materie und beschrieb diese in seiner Doktorarbeit. Er erhielt dafür 1929 den Nobelpreis der Physik. Aufgrund dieser Entdeckung begann die Erfolgsserie der Quantenmechanik, denn Materie konnte fortan wie Licht und Licht wie Materie behandelt und berechnet werden.

Das Tollhaus der Naturwissenschaft

Ganz im Tollhaus der Naturwissenschaft glaubt sich der Nichtphysiker, wenn er von der zweiten wichtigen Entdeckung der Quantenphysik hört. Der Physiker Werner Heisenberg versuchte die Lichtteilchen genauer zu vermessen. Er wollte ihren Ort und Impuls exakt bestimmen. Er hatte keinen Erfolg, denn immer wenn er das Lichtteilchen an einem bestimmten Ort lokalisieren konnte, gelang es ihm nicht mehr den Impuls exakt zu messen, und wenn er gerade dabei war, den Impuls zu messen, konnte er nicht mehr feststellen, wo das Lichtteilchen geblieben war. Das Problem ist verteufelt und nicht lösbar. Schließlich stellte Heisenberg eine Formel auf, die das Problem mathematisch beschreibt. Diese Formel ist die Heisenbergsche Unschärferelation, für deren Entdeckung der Physiker 1932 den Nobelpreis bekam.

Heisenbergs Entdeckung schlug wie eine Bombe in die deterministische Philosophie der klassischen Physik ein. Je mehr man sich anstrengte eine physikalische Größe akkurat zu messen, desto ungenauer wurden die anderen Größen. Wenn die Anfangswerte zur Berechnung der Bahnkurve eines Teilchens nicht mehr genau gemessen werden können, dann ist die Vorstellung man könne den Weg eines Teilchens exakt berechnen, unhaltbar. Statt deterministischer Berechnungen musste man sich fortan mit Wahrscheinlichkeitsberechnungen begnügen. Der österreichische Physiker Schrödinger stellte dafür die nach ihm benannte Wellengleichung auf, welche in der Quantenphysik die Rolle der klassischen Newtonschen Gesetze übernahm. Die Schrödinger Wellengleichung ist praktisch der mathematische Eckpfeiler der Quantenphysik. Auf ihr fußen alle mathematischen Berechnungen für die technologischen Errungenschaften unseres heutigen Alltags, seien es Laser, DVD-Rekorder oder der Kernspintomograf für medizinische Untersuchungen.

Der Triumph der Quantenmechanik

Die dritte wichtige Entdeckung der Quantenphysik stammt vom Quantenphysiker Wolfgang Pauli. Er entdeckte, dass kein Teilchen sich dort befinden kann, wo sich bereits ein anderes Teilchen aufhält (Pauli-Prinzip, 1925/1926). Das erscheint in der klassischen Physik selbstverständlich. Es ist aber nicht mehr selbstverständlich seit de Broglie die ‘weiche’ Welleneigenschaft der Materie entdeckte. Das Pauli-Prinzip erklärt, warum man nicht mit dem Kopf durch die Wand kann. Aber es erklärt auch dem Chemiker, wie das Periodensystem der Elemente funktioniert, und hat damit erst die Entwicklung moderner Werkstoffe ermöglicht. Der Physiker weiß aufgrund der Entdeckung des Pauli-Prinzips, wie ein Laser funktioniert und Jordin Kare kann deshalb daran gehen, seinen Moskito-Laser zu vervollkommnen. Nach Angaben der Forscher soll der Laserstrahl des Mückenkiller-Geräts Milliarden von Mücken in einer Nacht töten, ohne Schmetterlingen oder Menschen Schaden zuzufügen. Wenn dadurch in Schwarzafrika jedes Jahr Hunderttausenden das Leben gerettet wird, weil die Menschen von der todbringenden Malaria verschont bleiben, dann handelt es sich um einen erneuten großen Triumph der Quantenmechanik. – Klaus-Dieter Sedlacek –

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