13.05.2019 09:39
Alzheimer-Therapie aus Jülich besteht nächsten wichtigen Test
Der im Forschungszentrum Jülich entwickelte Alzheimer-Wirkstoff-Kandidat PRI-002 hat die Phase I der klinischen Forschung in gesunden Freiwilligen erfolgreich durchlaufen. Bei einer täglichen Verabreichung über einen Zeitraum von vier Wochen erwies sich der Wirkstoff als sicher für die Anwendung im Menschen. Der nächste Meilenstein ist nun der Nachweis der Wirksamkeit im Patienten in der klinischen Phase II.
“Der Wirkstoffkandidat PRI-002 hat bereits im Sommer 2018 seine Sicherheit und Verträglichkeit bei einmaliger Anwendung im Menschen unter Beweis gestellt – und zwar bis zur höchsten geplanten Dosierung. Dabei erreichten die Wirkstoffkonzentrationen im Blut die Werte, die zuvor therapeutisch wirksam waren im Tiermodell. Nun konnten wir auch bei vier-wöchiger täglicher Verabreichung die Sicherheit des Wirkstoffes zeigen”, sagt Prof. Dieter Willbold, Direktor des Jülicher Instituts für Strukturbiochemie (ICS-6) und Leiter des Instituts für Physikalische Biologie der Universität Düsseldorf. Die Studie wurde von Prof. Michael Wolzt an der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien durchgeführt, in enger Koordination mit Dr. Dagmar Jürgens vom ICS-6. Ein weiterer Partner ist die Neuroscios GmbH, ein Auftragsforschungsinstitut, das das Monitoring beider Studien durchführte.
In den letzten Jahren sind viele Alzheimer-Wirkstoffkandidaten in der entscheidenden Klinischen Phase III, in der Wirksamkeit und Sicherheit des Wirkstoffs bestätigt werden sollen, gescheitert. Sie erreichten keine Verbesserung der Gedächtnisleistung und Kognition bei Alzheimer-Patienten. Bei einer Vielzahl der gescheiterten Wirkstoffkandidaten stand das Amyloid-beta-Monomer (Abeta) im Fokus. “Das hat sicher einen guten Grund, denn es gibt klare genetische Hinweise, dass Abeta in irgendeiner Form eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der Alzheimer-Demenz hat”, sagt Dieter Willbold. Dabei wurde entweder versucht, die Bildung von Abeta-Monomeren aus seinem Vorläuferprotein APP durch Hemmung der daran beteiligten spaltenden Enzyme zu reduzieren oder es wurden monoklonale Antikörper gegen verschiedene Formen von Abeta eingesetzt.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Das Amyloid-beta-Monomer ist ein natürlich im Körper vorkommendes Eiweiß, das während des gesamten Lebens aus dem Amyloid-Vorläuferprotein APP entsteht. Diese Abeta-Monomere sind nicht toxisch und aggregieren unter normalen Bedingungen sehr selten zu einem Abeta-Oligomer, da sich mehrere Abeta-Monomere an einem Ort zur selben Zeit treffen müssen. Doch auch seltene Ereignisse werden mit zunehmender Wartezeit immer wahrscheinlicher. Deshalb ist das Lebensalter der größte Risikofaktor für Alzheimer. Wenn die ersten Abeta-Oligomere entstanden sind, können sie sich selbst vermehren und sind im Gegensatz zu den Monomeren hoch-toxisch, zudem behindern sie die normale Funktion der Nervenzellen im Gehirn. Im Gegensatz zu den viel größeren Fibrillen in den Plaque-Ablagerungen zwischen den Nervenzellen sind Oligomere hochmobil und können überall im Gehirn Schaden anrichten.
“Wir hatten uns einen anderen Ansatz für unseren Wirkstoffkandidaten überlegt, denn das Prinzip, dass es nicht um die Bildung von Abeta selbst geht, sondern um dessen Aggregation zu Oligomeren, ist schon einige Jahre bekannt”, äußert Dr. Antje Willuweit vom Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-4), die bereits viele Jahre die Forschung von Dieter Willbold begleitet.
Der Wirkmechanismus von PRI-002 folgt einem komplett anderen Ansatz als die bisherigen Wirkstoffkandidaten. Er zerstört direkt und ohne Mitwirkung des Immunsystems die toxischen Oligomere und zerlegt diese in die ungefährlichen Abeta-Monomere.
Darüber hinaus gehört PRI-002 auch noch zu einer völlig neuen Klasse von Wirkstoffen, die auf sogenannten D-Peptiden basiert. Diese bestehen aus den genauen Spiegelbildern der normalerweise im Organismus vorkommenden L-Aminosäuren in Proteinen und werden deshalb im Körper nicht oder sehr langsam abgebaut. Dadurch ist s der Wirkstoff so stabil, dass PRI-002 oral, also als Tablette oder Kapsel verabreicht werden kann.
“Ich verfolge die Entwicklung von PRI-002 mit großem Interesse. Nicht nur, weil es einen interessanten und neuen Ansatz in der Therapie von Alzheimer darstellt, sondern auch wegen der Möglichkeit einer Verabreichung mittels Tablette oder Kapsel, was insbesondere bei älteren Menschen sehr vorteilhaft ist”, sagt Prof. Oliver Peters von der Charité in Berlin.
Auch die Ergebnisse der präklinischen Wirksamkeitstests mit PRI-002 wurden in der Regel mit oraler Verabreichung erzielt. “Wir konnten zeigen, dass es bei Mäusen mit alzheimerähnlichen Symptomen zu einer kognitiven Leistungsverbesserung kam. Gedächtnis und Kognition der behandelten Mäuse waren signifikant gegenüber der Plazebo-Gruppe verbessert und sogar nicht mehr von der Gedächtnisleistung gesunder Mäuse zu unterscheiden”, sagt Dr. Janine Kutzsche, Wissenschaftlerin aus dem Team von Prof. Willbold. Diese kürzlich publizierten Studien am ICS-6 an sehr alten Mäusen mit weit fortgeschrittenem Krankheitsbild konnten zeigen, dass selbst bei diesen Tieren die Krankheitssymptome erfolgreich behandelbar waren. “Also unter eindeutig nicht-präventiven Bedingungen”, unterstreicht Willbold.
Die nun vorliegenden Ergebnisse aus den erfolgreichen Tests einer einfachen und mehrfachen ansteigenden Dosierung von PRI-002 in gesunden, freiwillig teilnehmenden Menschen erlauben eine weitere Entwicklung des Wirkstoffes. „Unser nächstes Ziel ist der Nachweis der Wirksamkeit im Patienten“, sagt Dieter Willbold. “Wir hoffen, diesen Weg mit der Firma Priavoid erfolgreich gehen zu können.”
Priavoid ist eine Ausgründung von Wissenschaftlern des Forschungszentrums und der HHU Düsseldorf und verfügt auch über das Know-How, weitere Wirkstoffe gegen neurologische Erkrankungen zu entwickeln. Die Entwicklung von PRI-002 wurde bisher aus Mitteln des Helmholtz-Validierungsfonds unterstützt, die nun durchgeführte Studie wurde zusätzlich durch den “Part the Cloud: Translational Research Funding award” der US-basierten “Alzheimer‘s Association” (PTC-19-605853) gefördert.
“Priavoid ist ein sehr innovatives Unternehmen und ich möchte die weitere Entwicklung gerne begleiten”, sagt Prof. Detlev Riesner, der sich kürzlich an der Firma Priavoid beteiligt hat und ein führender Wissenschaftler in der Prionenforschung ist.
Über Priavoid
Die Priavoid GmbH ist ein biopharmazeutisches Unternehmen, das im September 2017 aus dem Forschungszentrum Jülich und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ausgegründet wurde.
Die Firma entwickelt und vermarktet neuartige, auf sogenannten D-Peptiden basierte Wirkstoffkandidaten gegen neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson, ALS, die Huntington-Krankheit und verschiedene Tauopathien. Am weitesten fortgeschritten ist das gegen die Alzheimer-Krankheit gerichtete PRI-002, das nun weiter im Menschen getestet wird. Sitz der Firma ist in Jülich.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Dagmar Jürgens
Institute of Complex Systems, Strukturbiochemie (ICS-6)
Tel.: 02461 61-2751
E-Mail: d.juergens@fz-juelich.de
Prof. Dieter Willbold
Direktor des Institute of Complex Systems, Strukturbiochemie (ICS-6)
Tel.: 02461 61-2100
E-Mail: d.willbold@fz-juelich.de
Originalpublikation:
Schemmert S, Schartmann E, Zafiu C, Kass B, Hartwig S, Lehr S, Bannach O, Langen KJ, Shah NJ, Kutzsche J, Willuweit A, Willbold D.
Aβ Oligomer Elimination Restores Cognition in Transgenic Alzheimer’s Mice with Full-blown Pathology.
Mol Neurobiol., (2019), DOI: 10.1007/s12035-018-1209-3
Weitere Informationen:
https://www.fz-juelich.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/UK/DE/2019/2019-05-13-al… – Pressemitteilung des Forschungszentrums Jülich
https://www.fz-juelich.de/portal/DE/Presse/beitraege/docs/alzheimer-forschungsst… – Webdossier zur Jülicher Alzheimerforschung
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
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