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13.02.2023 12:31
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Hinweis auf Parkinson-Vorform in Stuhlprobe
Physikalische Biologie: Publikation in npj Parkinson’s disease
Die sogenannte isolierte REM-Schlaf-Verhaltensstörung ist eine Krankheit, die bereits weit im Vorfeld auf eine Parkinson-Erkrankungen hinweisen kann. Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Erdem Gültekin Tamgüney von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) zeigt, dass im Stuhl der Betroffenen eine erhöhte Konzentration von α-Synuclein-Aggregaten nachgewiesen werden kann. In der zur NatureSpringer-Gruppe gehörenden Fachzeitschrift „npj Parkinson’s disease“ stellen sie ein Nachweisverfahren für diese Aggregate vor, die sie zusammen mit dem Uniklinikum Köln, dem Forschungszentrum Jülich und der attyloid GmbH entwickelt haben.
Es gibt zwei Formen der Parkinson-Erkrankung (kurz PD). In 70 Prozent der Fälle nimmt sie im zentralen Nervensystem (ZNS) ihren Ausgang. Bei rund 30 Prozent der Betroffenen liegt der Ursprung im Nervensystem des Darms („enterisches Nervensystem“). Man spricht bei letzterem von einer „Körper-originären Parkinson-Erkrankung“ (kurz „Body-first PD“). Bei dieser Form bilden sich die charakteristischen Ablagerungen von Aggregaten des körpereigenen α-Synuclein-Proteins in den Neuronen im Darmbereich.
Eine Vorform der Body-first PD ist die sogenannte isolierte REM-Schlaf-Verhaltensstörung (kurz „iRBD“). Sie drückt sich durch teilweise komplexe Bewegungen während einer bestimmten Schlafphase – dem REM-Schlaf – aus, sofern der Patient lebhafte und erschreckende Träume hat. Diese Bewegungen können zu Eigen- oder Fremdgefährdung führen.
Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Erdem Gültekin Tamgüney vom Institut für Physikalische Biologie der HHU berichtet nun, dass sie in Stuhlproben betroffener Patienten einen erhöhten Spiegel von α-Synuclein-Aggregaten nachweisen. Sie nutzten dazu eine neue, oberflächenbasierte Fluoreszenzintensitätsverteilungsanalyse („sFIDA“), um einzelne Teilchen von α-Synuclein-Aggregaten zu erkennen und zu quantifizieren.
Prof. Tamgüney: „Wir konnten als Erste α-Synuclein-Aggregaten im Stuhl nachweisen. Unsere Ergebnisse zeigen einen signifikant erhöhten Spiegel von α-Synuclein-Aggregaten bei iRBD-Patienten im Vergleich zu Gesunden oder Patienten mit Parkinson. Diese Erkenntnisse können zu einem nicht-invasiven Diagnostiktool für noch symptomfreie („prodomalen“) Synucleinopathien – einschließlich Parkinson – führen. Damit könnten frühzeitig Therapien eingeleitet werden, bevor Symptome auftreten.“ Bevor das Verfahren in die klinische Praxis Einzug halten kann, sind noch weitere Forschungsarbeiten notwendig. Etwa, warum der Spiegel bei Parkinsonpatienten niedriger lag, ist Gegenstand weiterer Untersuchungen.
Die Studie wurde zusammen mit dem Institut für Biologische Informationsprozesse – Strukturbiochemie (IBI-7) am Forschungszentrum Jülich, der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Uniklinik Köln (UKK) und der HHU- und FZJ-Ausgründung attyloid GmbH durchgeführt. HHU und UKK haben dabei die Biobank mit den Stuhlproben von Patienten und Kontrollprobanden aufgebaut. HHU und FZJ haben das Testverfahren entwickelt und die Tests mit den Proben durchgeführt. Die attyloid GmbH ist Kooperationspartner und will an einer kommerziellen Verwertung der Ergebnisse arbeiten. Hier muss verifiziert werden, dass das Testverfahren sicher und im Regelbetrieb einsetzbar ist und so eine Zulassung erhalten kann.
Hintergrund
Bei der Body-first PD bilden sich die für Parkinson charakteristischen Ablagerungen von Fibrillen des körpereigenen Proteins alpha-Synuclein zuerst in Neuronen des enterischen Nervensystems aus, welches den Magendarmtrakt versorgt. Von dort aus wandern die Aggregate dann prionenartig zum ZNS. „Prionenartig“ bedeutet hier, dass ein vorhandenes Aggregat wie ein Kristallisationskeim bewirkt, dass sich in deren Nachbarschaft einzelne alpha-Synuclein-Proteine ebenfalls zu Aggregaten zusammenlagern, so dass sich diese im Körper weiter ausbreiten.
Der Einfluss von Ereignissen im Magendarmbereich aufs Hirn wird als „Magendarm-Hirn-Achse“ bezeichnet. Der Magendarmbereich ist der Umwelt ausgesetzt. Es besteht die Möglichkeit, dass mit der Nahrung aufgenommene Schadstoffe wie Chemikalien, Bakterien oder Viren direkt oder über eine Wechselwirkung mit dem Mikrobiom des Magendarmtrakts die pathologische Bildung der alpha-Synuclein-Aggregate auslösen könnten.
Die Arbeitsgruppe von Prof. Tamgüney konnte bereits früher nachweisen, dass Magendarminfektionen das Risiko für PD erhöhen (siehe Nerius et al, 2019 in Gut. DOI: 10.1136/gutjnl-2019-318822). Auch konnte ein Bonn-Düsseldorfer Forschungsteam um Tamgüney im Tiermodell zeigen, dass oral verabreichte α-Synuclein-Fibrillen im Magendarmtrakt aufgenommen werden und sich von dort aus prionenartig zum ZNS ausbreiten und dort eine PD-artige Krankheit auslösen können (siehe Lohmann et al., 2019 in Acta Neuropathologica, DOI: 10.1007/s00401-019-02037-5).
Ausführliche Bildunterschrift:
sFIDA-Messprinzip: Eine Glasoberfläche wird mit Fänger-Antikörpern beschichtet, welche auf bestimmte Aminosäuren des α-Synuclein-Proteins reagieren. Die Fänger binden dann sowohl einzelne α-Synuclein-Moleküle als auch deren Aggregate. Ebenfalls sind mit einem Fluoreszenzfarbstoff ausgestattete Detektionsantikörper aufgebracht, die nur auf Aggregate reagieren. Findet eine Bindung an den Detektorantikörper statt, wird der Fluoreszenzfarbstoff aktiviert und strahlt dann, bei Lichteinstrahlung, charakteristisch-farbiges Licht aus. Dieses kann mit einem Fluoreszenzmikroskop nachgewiesen werden. (Grafik: HHU / Anja Schaffrath und Erdem Gültekin Tamgüney)
Originalpublikation:
Anja Schaffrath, Sophia Schleyken, Aline Seger , Hannah Jergas, Pelin Özdüzenciler, Marlene Pils, Lara Blömeke, Anneliese Cousin, Johannes Willbold, Tuyen Bujnicki, Oliver Bannach, Gereon R. Fink, Dieter Willbold, Michael Sommerauer, Michael T. Barbe and Gültekin Tamgüney, Patients with isolated REM-sleep behavior disorder have elevated levels of alpha-synuclein aggregates in stool, npj Parkinson’s Disease (2023) 14.
DOI: 10.1038/s41531-023-00458-4
Bilder
sFIDA-Messprinzip; ausführliche Bildunterschrift siehe Text.
HHU / Anja Schaffrath und Erdem Gültekin Tamgüney
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch