Neurointerface: Laden von Informationen aus dem Internet direkt ins Gedächtnis

Video: BrainGate Neural Interface (englisch)
httpv://www.youtube.com/watch?v=cDiWFcA0gaw

Wie weit ist die Entwicklung einer Gehirn-Maschine-Schnittstelle vorangeschritten? Werden wir eines Tages Informationen aus dem Internet direkt in unser Gedächtnis laden können?

Rasante technische Fortschritte in der Informationstechnik und Biotechnologie inspirierten den Sciencefiction-Autor William Gibson 1984 zu seiner Roman-Trilogie “Neuromancer”. Darin werden Menschen Teil einer Maschinenwelt, die von ihrer eigenen biologischen Sphäre kaum noch zu unterscheiden ist. Die Romanfiguren tauchen in Computernetzwerke ein und müssen sich dort künstlicher Intelligenzen erwehren. In der Spielfilm-Trilogie “Matrix” haben diese die Menschheit längst versklavt.

Was ist dran an solchen Visionen? Wie in der April-Ausgabe von “Spektrum der Wissenschaft” ausgeführt wird, liegt zwar eine “Matrix”-Welt noch in weiter Ferne. Gleichwohl haben Verbindungen zwischen Gehirn und technischen Systemen durchaus die Aussicht, einmal Realität werden.

Werden sich Informationen zwischen dem Gehirn “downloaden” oder “uploaden” lassen? Das ist nicht nur eine Frage für Visionäre: Mit diesem Wissen ließen sich vielleicht Neuroprothesen konstruieren, um Alzheimerpatienten dabei zu helfen, neue Gedächtnisinhalte aufzubauen. All die Visionen und Prognosen setzen verlässliche Schnittstellen zwischen der organischen und der technischen Welt voraus, etwa in Form spezieller, in das Gehirn implantierter Mikrochips oder Elektrodensysteme nebst einer Verbindung zur Außenwelt. Ein “auslesendes” Neurointerface würde die natürliche elektrische Aktivität unseres Nervensystems registrieren, ein “einschreibendes” hingegen erzeugte darin Nervenimpulse.

Erste – periphere – Neuroschnittstellen, die elektrische Spannungen über Elektroden weitergeben, wurden seit den 1980er Jahren Tausenden von Menschen eingesetzt: Cochlea-Implantate, die den Hörnerv Tauber oder schwer Hörbeschädigter stimulieren. Obendrein sind seit Längerem “Sehchips” in der Entwicklung, die als künstliche Netzhaut bei Erblindeten fungieren sollen.

Solche Implantate sitzen gewissermaßen erst an Außenstellen des Gehirns. Wie steht es aber mit dem Zentralnervensystem selbst? Hier wird seit einigen Jahren der umgekehrte Weg getestet, nämlich die Übertragung von elektrischen Signalen aus dem Gehirn an eine Maschine. Amerikanische Forscher implantierten 2004 einem Querschnittgelähmten erstmals einen Multi-Elektroden-Array namens “Brain-Gate”. Dieses “Tor zum Gehirn” griff von mehreren Dutzend Neuronen der motorischen Hirnrinde Signale ab, über die der Patient dann per “Gedankenkraft” eine Handprothese steuern konnte.

Für das viel ehrgeizigere Ziel aber, Informationen wie über einen Nürnberger Trichter direkt in jene Hirnstruktur einzuspeisen, die zum Aufbau eines Langzeitgedächtnisses unerlässlich ist, müssen Technologien erst entwickelt werden. Zwei der wichtigsten Probleme sind: eine zuverlässige, möglichst risikoarme Schnittstelle, die elektrische Signale von einer Welt in die andere transferiert; außerdem eine Übersetzung des zu Lernenden in die Sprache der Neurone, damit sich das Gewünschte übermitteln lässt.

Wie Lösungen beider Probleme aussehen könnten, das lassen die Arbeiten führender Forscher auf diesem Feld aber schon ansatzweise erahnen. Beispielsweise entwarf Philip R. Kennedy von der Firma Neural Signals in Duluth (Georgia) eine kegelförmige Elektrode, in die Nervenzellen einwachsen können. In der sprachmotorischen Hirnrinde erfasst sie den Output einiger Neurone, deren Signale unter anderem die Stellung von Lippen, Zunge und Kiefer bei der Produktion von Lauten steuern.

Erstmals wurde 2004 einem fast völlig gelähmten Schlaganfallopfer ein solches Implantat (mit Sendereinheit) als Schnittstelle zu einem Computer eingesetzt. Dieser interpretiert die drahtlos übermittelten Signale und steuert einen Sprachsynthesizer. Bislang gelang es dem Patienten damit zwar nur, Vokale zu bilden, doch das ist ein wichtiger Schritt zu ganzen Worten. Umgekehrt ließe sich dieser Interface-Typ auch zur Aktivierung einer Gruppe einzelner Neurone nutzen.

Für anspruchsvollere Inhalte müssen die Hirnforscher erst noch verstehen, wie Sprachinformationen durch Neurone und neuronale Signale kodiert, wie sie in das Netzwerk von Milliarden von Nervenzellen und Billionen von Synapsen unseres Gehirns eingespeist und dort repräsentiert werden.

Den neuralen Kode zu entschlüsseln ist eine der größten Herausforderungen für die Hirnforschung. Bisher gelang es Forschern immerhin, einen Schaltkreis für eine Ratte aufzubauen, der eine bestimmte Hirnregion, den Hippocampus, teilweise ersetzt. Das Tier lernte durch Drücken eines bestimmten Hebels, Wasser zu erhalten. Drückte das Tier den richtigen Hebel, wurden alle Signale, die für den Hippocampus bestimmt waren, etwa Sinnesinformationen, in den Mikrochip gespeist. Dieser generierte sodann nach Aussage der Wissenschaftler genau die Signale, die auch der Hippocampus erzeugt hätte. Das Experiment belegte, dass der künstliche Output des Chips in diesem speziellen Fall den biologischen wirklich imitierte. Das ist ein großer Schritt auf dem Weg zur Entzifferung der Kodierung höherer Verhaltensweisen.

Angesichts der großen Herausforderungen deutet sich aber auch eine Grenze für die Neurotechnologie an. Das Zusammenschalten künstlicher Nervenzellen, um die unzähligen Verbindungen herzustellen, die eine Erinnerung ausmachen, ist etwas ganz anderes, als eine Gruppe von Bits auf einer Festplatte zu speichern.
Quelle: Spektrum der Wissenschaft, 4/09