Die Evolution im Darm



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16.05.2019 11:16

Die Evolution im Darm

Was bestimmt die Zusammensetzung der Mikroorganismen im Verdauungstrakt von Tieren? Eine große Studie der TU Wien und der Karl Landsteiner Universität Krems gemeinsam mit dem MPI Tübingen ging diesem Rätsel nun nach.

Sie sind ein Teil von uns: Wir alle tragen etwa zehnmal so viele Bakterien und Archaeen in uns herum wie eigene Zellen. Das Ökosystem in unserem Verdauungstrakt, das sogenannte Mikrobiom, hat nicht nur für unseren Stoffwechsel eine große Bedeutung, sondern auch für das Immunsystem und sogar das Verhalten. Bei Tieren ist es genauso, allerdings unterscheidet sich die Zusammensetzung des Mikrobioms von Tierart zu Tierart stark.

Erstmals wurde nun eine großangelegte Studie durchgeführt, um anhand von Fäkalproben freilebender Tiere die Entwicklung des Mikrobioms erklären zu können. Untersucht wurden 128 verschiedene Spezies aus den Klassen Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere. So konnte man zeigen, wie Evolution und Ernährungsgewohnheiten zusammenspielen und die Zusammensetzung der Bakterien im Verdauungstrakt bestimmen. Viele Kleinstlebewesen im Darm haben sich über viele Millionen Jahre gemeinsam mit ihren Wirtstieren mitentwickelt. Mit diesem Wissen soll es in Zukunft auch möglich werden, fäkale Verunreinigungen in Gewässern viel genauer bestimmten Tierarten zuzuordnen.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Proben aus allen Ästen des Stammbaums

„Bisher gibt es Untersuchungen am Mikrobiom von Menschen, oder auch spezielle Daten für einzelne Spezies wie etwa Ratten. Wir wollten aber viele Tierarten auswählen, die möglichst repräsentativ den gesamten Stammbaum der Wirbeltiere abdecken – von Vögeln über Säugetiere bis hin zu Fischen“, sagt Prof. Andreas Farnleitner, der an der TU Wien das Interuniversitäre Forschungszentrum „Wasser und Gesundheit“ co-leitet (ICC Water & Health, www.waterandhealth.at) und gleichzeitig als Professor für Mikrobiologische Diagnostik in Erweiterung des ICC Water & Health an der Karl Landsteiner Privatuniversität in Krems forscht.
Wichtig war, Proben von Wildtieren zu bekommen, denn Zootiere können ein ganz anderes Mikrobiom haben als ihre frei lebenden Artgenossen. Bei der Probenbeschaffung war das Institut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien federführender Partner. Dann wurde die DNA der untersuchten Mikroorganismen sequenziert – zum Teil an der TU Wien, zum Teil am Max Planck Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen.

„Insgesamt wurden über 400 Proben von 180 unterschiedlichen Spezies analysiert, dabei wurden 20 Millionen Gen-Sequenzen erhoben“, sagt Dr. Georg Reischer (TU Wien). Die Kooperationspartner des MPI in Tübingen brachten ihr Know-how in bioinformatischer Datenanalyse und Evolutionsbiologie in die Studie ein. Dabei zeigten sich auffallende Zusammenhänge, die sich evolutionsgeschichtlich erklären lassen: Das Mikrobiom hat sich über viele Millionen Jahre in einer Koevolution mit den Wirtstieren mitentwickelt. Eng verwandte Spezies, die einander am Stammbaum der Evolution nahe sind, weisen auch Ähnlichkeiten im Mikrobiom auf. „Auch die Ernährung spielt eine Rolle, aber sie ist nie alleine ausschlaggebend“, erklärt Georg Reischer. „Wenn ein Säugetier dasselbe isst wie ein Vogel, dann hat es deshalb nicht dieselben Bakterien im Darm.“

Der Verunreinigungs-Bio-Detektor

Mit dem Datenmaterial kann man nicht nur die Koevolution von Wirtstieren und den Mikroorganismen in ihrem Verdauungstrakt besser verstehen, sondern auch Verfahren entwickeln, die uns helfen, für sauberes Wasser zu sorgen. An der TU Wien wurde in den letzten Jahren bereits eine Technologie entwickelt, die anhand von DNA-Tests Hinweise auf die Ursache fäkaler Verunreinigungen im Wasser liefert. So kann man zum Beispiel herausfinden, ob die Verunreinigung durch menschliches Abwasser oder Weidetiere entstanden ist. „Nun haben wir einen sehr umfangreichen Datensatz zur Verfügung, mit dem solche Tests auf viel umfassendere und genauere Weise möglich werden“, sagt Andreas Farnleitner.

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Über die Karl Landsteiner Privatuniversität Krems

Die Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (KL) ist Wegbereiterin und Katalysatorin für zukunftsorientierte, gesellschaftlich relevante Lehr- und Forschungsbereiche in der Medizin und den Gesundheitswissenschaften. In diesem Sinne fokussiert sie auf ein fächerübergreifendes, international ausgerichtetes Studienprogramm in Medizin, Psychologie, Psychotherapie und Beratungswissenschaften, das eine sinnvolle Ergänzung zum klassischen Ausbildungsangebot der öffentlichen Universitäten darstellt. Mit ihrem europaweit anerkannten Bachelor-Master-System stellt die KL eine flexible Bildungseinrichtung dar, die auf die Bedürfnisse der Studierenden und Anforderungen des Arbeitsmarkts abgestimmt ist. In der Forschung konzentriert sich die KL gezielt auf Nischenfelder in gesundheitspolitisch relevanten Brückendisziplinen wie der Medizintechnik, der Psychodynamik und Psychologie sowie dem Thema Wasserqualität und den damit verbundenen gesundheitlichen Aspekten. Die KL wurde 2013 gegründet und von der Österreichischen Agentur für Qualitätssicherung und Akkreditierung (AQ Austria) akkreditiert.
www.kl.ac.at

Über das Interuniversity Cooperation Centre for Water & Health

Das Interuniversitäre Kooperationszentrum Wasser und Gesundheit (ICC Water & Health) versteht sich als wissenschaftliche Plattform und kompetenter Partner in Fragen der Wasserqualität und deren Auswirkung auf die menschliche Gesundheit. Das ICC widmet sich der Entwicklung innovativer Konzepte zur Beurteilung der Wasserqualität, neuer mikrobiologischer und molekularbiologischer Methoden, der Wirksamkeitsprüfung physikalischer und chemischer Aufbereitungsmethoden sowie numerischer Modelle zur Abschätzung des Infektions- und Krankheitsrisikos bei der Wassernutzung. Die gewonnenen Erkenntnisse werden zur Ableitung effektiver und nachhaltiger Managementmaßnahmen zum Schutz der Gesundheit verwendet. Das ICC wurde von der Technischen Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien im Jahr 2010 gegründet und konnte dank der kompetitiven Forschungsförderung durch das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) nachhaltig etabliert werden. Im Jahr 2017 wurde das ICC Water & Health um die Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (KL) erweitert. Die KL ist nun offizieller Teil der Forschungsplattform.
www.waterandhealth.at


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Andreas Farnleitner
Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und technische Biowissenschaften
Technische Universität Wien
T: +43-1-58801-166557
andreas.farnleitner@tuwien.ac.at
Department Pharmakologie, Physiologie und Mikrobiologie
Karl Landsteiner Universität Krems
T: +43-2732-72090390
andreas.farnleitner@kl.ac.at

Dr. Georg Reischer
Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und technische Biowissenschaften
Technische Universität Wien
T: +43-1-58801-166556
georg.reischer@tuwien.ac.at


Originalpublikation:

N. Youngblut et al., “Host diet and evolutionary history explain different aspects of gut microbiome diversity among vertebrate clades”, Nature Communications (2019), DOI: 10.1038/s41467-019-10191-3


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Biologie, Medizin, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW