Eine egozentrierte Raumkarte im menschlichen Gehirn



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15.07.2021 13:11

Eine egozentrierte Raumkarte im menschlichen Gehirn

Neurowissenschaftler*innen des Universitätsklinikums Freiburg entdecken einen neuen Zelltyp im Gehirn und finden Hinweise, wie er an Navigation und Gedächtnis beteiligt ist / Erkenntnisse können bei der Erforschung neurodegenerativer Krankheiten wie Alzheimer helfen / Publikation in Neuron

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Wie navigieren wir in einer Umgebung und erinnern uns später an Orte? Neurowissenschaftler*innen des Universitätsklinikums Freiburg und der Columbia University, USA, konnten in einer neuen Studie zeigen, dass Nervenzellen Richtungen und Entfernungen relativ zum navigierenden Organismus kodieren. Sie beschreiben einen bisher unbekannten Zelltyp im menschlichen Gehirn, der vermutlich eine Schlüsselrolle bei Navigation und Gedächtnis spielt. Die Erkenntnisse können bei der Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer helfen, zu deren häufiger Symptomatik sowohl Gedächtnis- als auch Orientierungsstörungen zählen. Die Studie wurde am 14. Juli 2021 in der Fachzeitschrift Neuron veröffentlicht.

„Die Befunde geben Einblicke in neuronale Mechanismen von Erkrankungen, die das Gedächtnis beeinträchtigen“, sagt Ko-Studienleiter Prof. Dr. Andreas Schulze-Bonhage, Abteilungsleiter Prächirurgische Epilepsiediagnostik – Epilepsiezentrum an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikum Freiburg.

Aufzeichnung egozentrierter Richtungszellen

Um die zellulären Mechanismen zu untersuchen, zeichneten die Neurowissenschaftler*innen im menschlichen Gehirn die Aktivität von mehr als tausend Neuronen auf. Möglich war dieses Vorgehen durch den Einbezug von Patient*innen des Epilepsiezentrums am Universitätsklinikum Freiburg, denen für diagnostische Zwecke Elektroden implantiert worden waren. Die Proband*innen lösten Aufgaben am Computer, die ihre Fähigkeit testeten, durch virtuelle Umgebungen zu navigieren und sich räumlich zu erinnern.

Die Forscher*innen konnten zeigen, dass dabei sogenannte egozentrierte Richtungszellen aktiviert werden. Diese waren besonders häufig im parahippocampalen Kortex zu finden. Frühere Studien hatten gezeigt, dass Patient*innen mit Schäden in dieser Hirnregion Probleme bei der räumlichen Orientierung haben – betroffen könnten die egozentrierten Richtungszellen gewesen sein.

Nervenzellen werden bei räumlicher Navigation aktiviert

Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigten, dass die Aktivierung der egozentrischen Richtungszellen davon anhängt, ob bestimmte Aspekte der virtuellen Umgebungen vor, hinter, rechts oder links der Patient*innen positioniert waren. Egozentrierte Richtungszellen kodieren also räumliche Informationen in einem Koordinatensystem, das auf die navigierende Person zentriert ist. „Das ist vermutlich wichtig im Alltag, wenn sich Menschen in ihrer Umgebung orientieren und auf geplanten Routen navigieren”, sagt Schulze-Bonhage.

Nervenzellen reaktivieren während des Gedächtnisabrufs

Die Forscher*innen untersuchten ebenfalls die Aktivität der egozentrierten Speicherzellen während die Patient*innen versuchten, sich an die Standorte von Objekten in der virtuellen Umgebung zu erinnern. „Die Nervenzellen wurden während des erfolgreichen Gedächtnisabrufs reaktiviert. Das deutet darauf hin, dass sie Teil der neuronalen Basis für das menschliche Gedächtnis sind“, erklärt Dr. Lukas Kunz, Erstautor der Studie und Postdoktorand in der Abteilung Prächirurgische Epilepsiediagnostik – Epilepsiezentrum des Universitätsklinikums Freiburg sowie der Abteilung für Biomedizinische Technik an der Columbia University, USA.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Andreas Schulze-Bonhage
Leiter
Prächirurgische Epilepsiediagnostik – Epilepsiezentrum
Klinik für Neurochirurgie
Universitätsklinikum Freiburg
Telefon: 0761 270-45250
andreas.schulze-bonhage@uniklinik-freiburg.de

Dr. Lukas Kunz
Department of Biomedical Engineering
Columbia University in The City of New York
USA
drlukaskunz@gmail.com


Originalpublikation:

Original-Titel der Studie: A neural code for egocentric spatial maps in the human medial temporal lobe.
DOI: 10.1016/j.neuron.2021.06.019
Link zur Studie: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0896627321004608


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW