02.03.2020 23:00
Fettleber bei schlanken Menschen – Tübinger Forscher entdecken eine neue Ursache
Der Diabetologie Professor Norbert Stefan und Kollegen vom Universitätsklinikum Tübingen haben jetzt eine noch unbekannte Ursache für NAFLD bei mageren Menschen entdeckt. Sie berichten vom Fall einer Frau, die eine Immuncheckpoint-Inhibitor Therapie gegen Hautkrebs erhielt, die möglicherweise eine Entzündung ihres Unterhautfetts auslöste, was zu einem dramatischen Verlust an Fettmasse und einer schweren Form der NAFLD führte.
Die nichtalkoholische Fettleberkrankheit (NAFLD) wird meist bei übergewichtigen und fettleibigen Menschen diagnostiziert. Schwere Formen von NAFLD können jedoch auch bei seltenen genetischen Erkrankungen wie Lipodystrophie oder bei HIV-Patienten nachgewiesen werden, wodurch sie ein hohes Risiko für die Entwicklung von Leberversagen, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen darstellen. Der Diabetologie Professor Norbert Stefan und Kollegen vom Universitätsklinikum Tübingen haben jetzt eine noch unbekannte Ursache für NAFLD bei mageren Menschen entdeckt. Sie berichten vom Fall einer Frau, die eine Immuncheckpoint-Inhibitor Therapie gegen Hautkrebs erhielt, die möglicherweise eine Entzündung ihres Unterhautfetts auslöste, was zu einem dramatischen Verlust an Fettmasse und einer schweren Form der NAFLD führte.
Man geht davon aus, dass die weltweite Epidemie von NAFLD hauptsächlich durch einen ungesunden Lebensstil mit wenig körperlicher Aktivität und einer Ernährung mit einem hohen Anteil an gesättigten Fetten, Zucker und Fruktose verursacht wird. Bei diesen übergewichtigen und fettleibigen Patienten gilt die Gewichtsabnahme, die durch eine Veränderung des Lebensstils herbeigeführt wird, als die wirksamste und sicherste Methode zur Behandlung der NAFLD und zur Verringerung des Risikos für fortgeschrittene Formen von Lebererkrankungen wie Zirrhose oder Leberkrebs, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Eine NAFLD findet sich jedoch auch bei schlanken Menschen. Diese Patienten haben entweder eine genetisch bedingte Veränderung des Unterhautfettgewebes (Lipodystrophie), erworbene Lipodystrophie-Syndrome oder eine HIV-Lipodystrophie, die alle durch eine dramatische Verringerung der Unterhaut-Fettmasse und eine Zunahme des Fettgewebes im Bauch und in der Leber gekennzeichnet sind.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Thomas Eigentler und Diana Lomberg von der Universitäts-Hautklinik Tübingen sowie Jürgen Machann und Norbert Stefan von der Abteilung Innere Medizin IV des Universitätsklinikums Tübingen, des Helmholtz Zentrums München und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) haben jetzt eine neue Ursache für die erworbene Lipodystrophie entdeckt. Sie berichten über den Fall einer 45-jährigen Patientin mit der Diagnose Malignes Melanom, ein Hautkrebs, der mit dem programmierten Zelltodprotein-1 (PD-1)-Inhibitor (Immuncheckpoint-Inhibitor) Nivolumab wirksam behandelt wurde. Dieser und andere Immuncheckpoint-Inhibitoren haben die Behandlung von Krebs, insbesondere des Malignen Melanoms, revolutioniert.
Die Therapie mit diesen Immuncheckpoint-Inhibitoren ist jedoch auch mit unerwünschten Ereignissen verbunden, die häufig die Haut, den Magen-Darm-Trakt, die Lunge und das endokrine System betreffen. Gegen Ende der Behandlung mit Nivolumab fanden Stefan und Kollegen bei ihrer Patientin sehr hohe Lipidwerte, einen neu entwickelten Diabetes und eine schwere Form einer NAFLD. Dies kam völlig unerwartet, insbesondere weil die Patientin 31 kg Körpergewicht verloren hat. Die Gewebebiopsie ihres Unterhaut-Fettgewebes und die Magnetresonanztomographie ergaben die Diagnose einer erworbenen Lipodystrophie mit einer schweren Form der Entzündung ihres Fettgewebes. Dies könnte bei der Patientin durch die immunmodulatorische Funktion von Immuncheckpoint-Inhibitoren ausgelöst worden sein, zumal bei der Patientin zuvor eine asymptomatische Mastozytose, eine immunzellbezogene Störung, diagnostiziert wurde. Eine intensive pharmakologische Behandlung, insbesondere mit Pioglitazon, das eine Zunahme des Unterhaut-Fettgewebes herbeiführt, resultierte darin, dass ihr Leberfett, ihre Leberenzyme und ihre Lipidwerte wieder fast im Normalbereich lagen.
Norbert Stefan, Professor für Diabetologie an der Universität Tübingen und Gastprofessor an der Harvard Medical School in Boston, kommt zu dem Schluss, dass “es wichtig ist, dass Kliniker, die Patienten mit Checkpoint-Inhibitoren behandeln, sich eines neu identifizierten unerwünschten Ereignisses im Zusammenhang mit einer solchen Therapie bewusst sind. Es kann eine Entzündung des Fettgewebes auftreten, die zu einer schweren Fettleber führt. Bei diesen Patienten könnte eine spezifische Pharmakotherapie hilfreich sein, die Mechanismen zur Erhöhung der Unterhaut-Fettmasse und damit zur Aufbewahrung der Lipide in einem sicheren Stauraum beinhaltet.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Medizinische Klinik, Abteilung IV
Prof. Dr. med. Norbert Stefan
Tel. 07071 29-80390
norbert.stefan@med.uni-tuebingen.de
Originalpublikation:
Eigentler T, Lomberg D, Machann J, Stefan N. Lipodystrophic Nonalcoholic Fatty Liver Disease Induced by Immune Checkpoint Blockade, Annals of Internal Medicine (2020), http://annals.org/aim/article/doi/10.7326/L19-0635
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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